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Pseudepigraphen

 
       
  Pseudepigraphen (griech. « Fälschungen ») sind Schriften, die nicht von dem Verfasser stammen, unter dessen Namen sie erschienen sind. Sie begleiten die (christliche) Literatur wie ein Schatten. Unter ihnen finden sich alle literarischen Formen: Orakel und Visionen, Evangelien und Apostelgeschichten, Lehrschriften und Dialoge, Aussprüche und Reden, Inschriften und Briefe. Im Griechenland des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. hatte sich die Vorstellung vom geistigen Eigentum bereits ausgebildet. Deshalb kann man durchaus von einer bewussten Fälschung sprechen, wenn ein Verfasser seine Schrift unter der Maske eines anderen erscheinen lässt, um damit einen bestimmten Erfolg zu erzielen. 1. Aus dem Alten Orient sind Fälschungen kaum bekannt. In Ägypten kamen sie erst in hellenistischer Zeit auf. In Griechenland fälschte man Homer-texte, Orakel, Tragödien, Aussprüche von Philosophen und auch politisch bedeutsame Schriftstücke. Der Griff nach dem Namen eines anerkannten Schriftstellers sollte das Ansehen der eigenen Ideen, philosophischen Lehren oder religiösen Erkenntnisse steigern. Astrologische und alchimistische Zauberliteratur ließ man unter dem Namen eines Gottes, eines Weisen oder eines Königs erscheinen. Da Orakelsprüche im ganzen Altertum ein beliebtes Mittel des politischen Kampfes waren, wurden sie zu bevorzugten Fälschungsobjekten. Die Philosophenschulen befehdeten sich gegenseitig unter Verwendung von Fälschungen. Als sich in hellenistischer Zeit die judenfeindliche Stimmung immer weiter ausbreitete und man u. a. die jüdischen Ritualgesetze und die Sabbatruhe, die angebliche Kulturlosigkeit der Juden und ihre Beschneidungspraktiken kritisierte, formulierten die Angegriffenen judenfreundliche Äußerungen, die sie bekannten Griechen in den Mund legten. 2. Juden und Christen sind wohl die eifrigsten literarischen Fälscher der Weltgeschichte. Der Grund dafür liegt in der religiösen Bedeutung, die dem Buch zugesprochen wird. Für Juden wie Christen ist die Offenbarung Gottes in Heiligen Schriften niedergelegt, die als «Wort Gottes» und damit als absolute Autorität gelten. Das Ansehen, das das Alte Testament bei den Juden genoss, ging im Christentum auf die Evangelien, später auf Schriften der Apostel und dann auch auf die Apostelgeschichte über. Bei Auseinandersetzungen in Glaubensfragen stritt man bevorzugt mit Hilfe schriftlicher Zeugnisse. So sahen sich gerade die Vertreter abweichender Meinungen genötigt, autorisierte Texte etwa des Neuen Testaments (Kanon), Kirchenväterschriften oder Konzilserlasse zu ändern oder gänzlich neue zu erfinden. In den ersten Jahrhunderten erschienen unter dem Namen Jesu und der Apostel vor allem « Offenbarungen », unter dem Namen von Kirchenvätern unzählige Lehrschriften. Beliebt war es, Gestalten des Neuen Testaments und der Zeit der Apostel gefälschte Apostelakten zuzuschreiben. So schlüpften die Häretiker selbst unter die Maske orthodoxer Verfasser, um ihre Gedanken zu verbreiten und ihre Schriften vor der Vernichtung durch die Kirche zu bewahren. Als im Laufe der Zeit theologische, dogmatische, kultische und rechtliche Fragen aufkamen, die vom Neuen Testament her nicht beantwortet werden konnten, legte man kurzerhand die eigenen Ansichten und Meinungen Jesus und den Aposteln in den Mund und füllte so die biblischen Lücken. Auch kirchenpolitische Machtkämpfe wurden mit Hilfe von Fälschungen ausgetragen, die die eigene Position bestätigten. Durch Schwindeleien wurden Lokalheilige aufgewertet oder Propaganda für eigene Reliquien gemacht. Eine ganze Reihe von Kirchenordnungen sind Fälschungen. Die Gnostiker gaben ihren Evangelien die Form von Gesprächen des auferstandenen Jesus. Judenchristen, die mit der Zeit ins christliche Abseits gedrängt wurden, verbreiteten im Hebräer- und Ebioniterevangelium sowie in Apostelakten ihre eigene Theologie und eine Überlieferung, in der nicht Paulus, sondern ihrem Gewährsmann Jakobus die Hauptrolle zufiel. Da die apostolische Gründung einer Gemeinde ausschlaggebend für ihre Autorität und Macht war, erstritten sich manche Bischöfe diese Würde durch Fälschungen. Die berühmteste Fälschung dürfte indes die « Konstantinische Schenkung » sein. Sie entstand in der Mitte des 8. Jahrhunderts und behauptet, Kaiser Konstantin der Große habe Papst Sylvester kaiserliche Würden und Rechte über Rom, Italien und das ganze Abendland geschenkt. Dass es sich dabei um eine Fälschung handelt, wurde erst im Jahr 1440 aufgedeckt. Fälschungen haben die Entwicklung der kirchlichen Dogmatik, aber auch die kirchlichen Machtkämpfe mitgeprägt. Literarische Fälschungen und Fälschungen geschichtlicher Tatsachen gingen dabei Hand in Hand. Sie machen nicht nur einen wesentlichen Teil der christlich-abendländischen Literaturgeschichte aus, sondern sind auch ein bedeutsamer Faktor der kirchlichen und staatlichen Machtpolitik gewesen.  
 

 

 

 
 
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