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ABBÉ BARRUEL: RIESEN-VERSCHWÖRUNGSTHEORIE

 
       
  1797 druckte ein verbitterter französischer Jesuit, Abbé Augustin Barruel, seine Theorie darüber, warum es zur Französischen Revolution gekommen war. Wo andere Historiker diese soziale Explosion den Leiden der Armen zuschreiben würden oder den Ambitionen der aufstrebenden Händlerklasse oder der Entfremdung des Adelstandes (die den König fast alle verachteten und ihn hinter seinem Rücken »der fette Knabe« nannten) oder einer Kombination dieser Kräfte, auf den Weg gebracht durch die neuen Ideen von Vernunft und Demokratie, hatte der zornige Priester eine einfachere Theorie: Die Revolution war das Ergebnis der Machenschaften einer buchstäblich teuflischen Verschwörung. Die Ansichten dieses extrem reaktionären Priesters scheinen nur eine Angelegenheit von rein historischem Interesse zu sein, wenn seine Riesen-Verschwörungstheorie, wie er sie zwischen 1797 und 1808 entwickelt hatte, im Lauf der Zeit nicht solche Ausmaße angenommen hätte, dass sie seitdem fast alle VerschwörungsEnthusiasten direkt oder indirekt beeinflußt hat. Zuallererst gab der Abbé den bayerischen Illuminaten die Schuld an der Revolution, einer Geheimgesellschaft, die von 1776 bis 1786, als sie von der bayerischen Regierung verboten wurde, existierte; es braucht nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass die Illuminaten noch nicht verschwunden waren, als man sie 1786 verdammte. Vielleicht gab es sie noch unter anderem Namen, und vielleicht hatten sie wirklich eine Rolle beim Aufstand von 1789 gespielt. Diese These erschien etwa gleichzeitig in einem anderen Buch, »Proofs of a Conspiracy« (Beweis einer Verschwörung), von einem ernsthaften, schottischen Akademiker (und ehemaligem Freimaurer) namens John Robison, der behauptete, die Illuminaten hätten die meisten Freimaurerlogen auf dem Kontinent unterwandert, und er warnte seine schottischen, irischen und englischen Brüder, nicht zuzulassen, dass diese Verschwörer auch noch die britischen Logen infiltrierten. Aber Barruels Werk ging viel weiter als das Robisons. Nicht nur hätten die Illuminaten die Kontrolle über die Freimaurer auf dem Kontinent an sich gerissen, hieß es, sondern sie sollen auch schon lange existiert haben, bevor sie unter dem Namen Illuminaten in Bayern auftauchten. Tatsächlich soll es sie seit 1000 Jahren gegeben haben, und bei ihrer Gründung im neunten Jahrhundert sollen sie sich als Templer oder Tempelritter bezeichnet haben.


Die Inquisition beschuldigte die Templer der Teufelsanbetung und der Sodomie und Abbé Barruel betrachtete die Inquisition nicht mit »säkular-humanistischem« Skeptizismus. Die teufelsanbetenden Templer, so entschied er, hätten als verborgener Satanskult von ihrer angeblichen Auflösung 1308 bis zu ihrem Wiederauftauchen 1776 als bayerische Illuminaten, überlebt. Eine tausend Jahre alte Verschwörung, so etwas gefällt dem echten VerschwörungsEnthusiasten, und es verging nicht viel Zeit, bis Abbé Barruel von Männern mit ähnlich starker Einbildungskraft mit noch epischeren Verschwörungssagen hörte. Mehrmals änderte er seine eigene Theorie, um die Ideen einzuarbeiten, die seiner einzigartigen hahnebüchenen Vorstellung von dem entsprach, worum die Welt sich drehte. Die Templer wurden beispielsweise zu Verbündeten der Assassini, jener islamischen Gruppe, die Haschisch in ihren Ritualen gebrauchte und eine recht seltsame Spielart des Sufismus lehrte. Sie hörte sich an wie der »Pantheistische Multi-Ego-Solipsismus«, den Robert Heinlein später für eine Science-fiction-Story erfand. »Nichts ist wahr, alles ist erlaubt«, dieser angebliche Assassini-Slogan vermittelt eine Ahnung von ihrem mystischen Nihilismus. Schließlich begegnete der Abbé einem geheimnisvollen Captain Simonini, der ihm erzählte, »die Juden« als solche stünden hinter allem; die Riesen-Verschwörungstheorie nennt die internationalen Banker, namentlich die Rothschilds. Um 1808 herum hatte Barruel einen dauerhaften Beitrag zur Ideologie der Rechten geleistet: Seine einheitliche Verschwörungstheorie, nach der alles, was Rechtsradikale hassen, von den Machenschaften satanisch-sodomitischer Tempelritter, gottloser Freimaurer, arabischer Haschischraucher und finsterer jüdischer Banker herrührt. Ein großer Teil seines Fu-Manchu-artigen Mythos verbreitete sich schnell über Neuengland, und manche Föderalisten, besonders im Klerus, verwendeten ihn gegen Thomas Jefferson, von dem sie behaupteten, er sei der Spitzenmann der Illuminaten in der damals neuen US-Regierung. (John Adams, Vorsitzender der Föderalistischen Partei und wegen der Französischen Revolution im Streit mit Jefferson später versöhnten sie sich wieder -, verachtete diese undurchsichtige Horrorstory und versuchte, sie zu bekämpfen. Das Ergebnis war, dass er, Adams selbst, in den Werken von Matthew Josephson, einem Anti-Illuminaten-und-Anti-Rockefeller-Kreuzritter des 20. Jahrhunderts, als Kopf der amerikanischen Illuminaten auftaucht.) Die gesamte Barruelsche jüdisch-maurisch-arabische Verschwörung tauchte gelegentlich in der Anti-Freimaurer-Partei in den USA um 1840 auf und hat seither alle rechtsgerichtete Politik in Europa beeinflußt, den italienischen Faschismus und den deutschen Nazismus eingeschlossen. Eine geschönte Version, ohne den übertriebenen Antisemitismus, zirkuliert derzeit unter der christlichen Rechten des Reverend Pat Robertson. Eine ganz und gar ungeschönte Version, Antisemitismus eingeschlossen, motiviert einen großen Teil der amerikanischen »Miliz«-Bewegung.
 
 

 

 

 
 
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